Der Wiederaufbau

Um den Betrieb des Mont-Blanc-Tunnels wiederaufnehmen zu können, schlagen die Konzessionsgesellschaften (die italienische SITMB und die französische ATMB) ein “Programm für den allgemeinen Wiederaufbau und die Anpassung” in Zusammenarbeit mit den öffentlichen Diensten vor, um den Tunnelbenutzern größtmögliche Sicherheitsbedingungen zu garantieren. Dieses von der Regierungs-Kommission 1 (CIG) am 14. Dezember 1999 nach Anhörung des Sicherheitsausschusses 2 genehmigte Programm nimmt die 41 Empfehlungen des Berichts Marec-Cialdini auf und entspricht den neuen Anforderungen für die Tunnelsicherheit (Europäische Richtlinie Nr. 2004/54/EG). Das Programm umfasst vier Hauptpunkte:

  • Neuerstellung der Sicherheitseinrichtungen;
  • Verstärkung der Einsatzdienste;
  • Schaffung einer einzigen Betriebsstruktur;
  • Verfassung einer neuen Verkehrsregelung.

Die vorbereitenden Arbeiten

Eine erste Beurteilung des Zustands der baulichen Anlagen des Tunnels nach dem Unfall wurde anhand von Untersuchungen und Messungen durch Fachfirmen vorgenommen.

Diese für die Planung und Modernisierung des Tunnels als unabdingbare Voraussetzung geltende Tätigkeit umfasste Messungen, geometrischen Vermessungen, Prüfungen mit dem Georadarverfahren, Kernbohrungen im Beton der Gewölbeauskleidung, Laborprüfungen der Beton-Bohrkerne, chemisch-biologischen Untersuchungen und punktweise Untersuchungen mit Flat Jack.

Zur Durchführung dieser Tätigkeiten war es notwendig, vorher in dem vom Brand beschädigten Bereich das Gewölbe, die Widerlager und die Lüftungskanäle unterhalb der Fahrbahn sowie die die Fahrbahn tragende Decke zu sichern. Da diese Bauwerke durch den Brand teils schwer beschädigt waren, mussten die am schwersten betroffenen Bereiche unter Bereissen des Gewölbebetons, dessen Stabilisierung durch Anbringen von Metallgitter und Spritzbeton, das Abstützen der Frisch- und Abluftkanäle gesichert werden, um den Zugang und die Ausführung aller Untersuchungs- und Mess- und Sanierungsarbeiten zu ermöglichen, die im Tunnel unter absoluten Sicherheitsbedingungen stattfinden mussten.

Durch den Brand ganz oder teilweise beschädigte Bauwerke mussten abgebrochen werden, damit sie durch geeignete, moderne Anlagen ersetzt werden konnten. Dies betraf vor allem die vorhandene Auskleidung der Seitenwände, den Abbau der Wände der früheren Schutzräume und die Beschilderung.

Praktisch wurde der Tunnel aller seiner vorhergehenden Anlagen und Einrichtungen „entkleidet“ und auf die Strukturen reduziert, die aus den Kanälen unterhalb der Fahrbahn und der darüber liegenden Decke bestanden, denn im Laufe der Projektausarbeitung für die verschiedenen Bereiche und des Beginns der Arbeiten stellte es sich heraus, dass die im Tunnel vorhandenen baulichen Anlagen und Installationen größtenteils modernisiert werden mussten, denn sie waren entweder beschädigt oder überholungsbedürftig.


1 Der Mont-Blanc-Tunnel ist eine grenzübergreifende Struktur und steht daher unter dem Schutz einer Regierungs-Kommission (CIG), die in diesem spezifischen Fall von Italien und Frankreich gebildet wird. Sie besteht aus Vertretern der französischen und italienischen Regierung unter dem Vorsitz eines Diplomaten. Dieses Organ bestimmt die Sicherheits- und Verkehrsvorschriften im Tunnel und genehmigt die Gebühren. Es überwacht außerdem die Ausführung der erforderlichen Arbeiten für die Verbesserung des Betriebs und der Sicherheit des Tunnels.

2 Diese Behörde wurde unter Umsetzung einer Entscheidung der Regierungs-Kommission vom 23.07.99 nach dem Brand vom 24. März 1999 gegründet. Sie setzt sich paritätisch aus 5 französischen und 5 italienischen Mitgliedern zusammen, die Fachleute in Sachen Schutz, Brandbekämpfung und Tunnelverkehr sind. Der Sicherheitsausschuss hat die Aufgabe, der Regierungs-Kommission eine technische Aussage hinsichtlich der genannten Fragen vorzulegen.


Vor dem Beginn der eigentlichen Arbeiten mussten daher die folgenden beiden Maßnahmen ergriffen werden:

  • Die erste Maßnahme (Reinigung und Dekontamination) wurde am Gewölbe, an den Seitenwänden, am Tunnelboden und am gesamten Abluftkanal mit durch Sprühen von Wasser und besonderen Lösungsmitteln mit hohem Druck und hoher Temperatur zum Reinigen und Entfernen von Korrosionsmitteln von den baulichen Einrichtungen vorgenommen; außerdem wurden die Frischluftkanäle und die Lüftungszentrale gereinigt, die Gitter und die feststehenden, zum Weiterarbeiten erforderlichen Anlagen dekontaminiert und die abzubauenden und zu entsorgenden Anlagen einer einfachen Reinigung unterzogen.
  • Die zweite Maßnahme (das sogenannte Los 0) bestand in der Herstellung auf italienischem Gebiet, nahe der Einfahrt, von 3 Garagen, von 30 x 3 m großen Plätzen im Abstand von 300 m abwechselnd auf beiden Seiten des Tunnels und aus dessen Erweiterung, um diese Aushubarbeiten nicht zu behindern (auf dem gesamten Tunnelquerschnitt). Dazu kommt die teilweise Herstellung von sechs neuen Schutzräumen, die aus dem gleichen Grund bereits am Anfang vorgenommen wurde.

Die neuen Sicherheitsmerkmale: technische Maßnahmen

Die Vorgaben für die Sicherheit wurden durch eine Reihe von technischen Maßnahmen an den Bauwerken und Anlagen unter Integration von organisatorischen, die Tunnelverwaltung betreffenden Maßnahmen umgesetzt.

Unter den technischen Maßnahmen sind folgende zu nennen:

  • Systeme zur Unfallverhütung
    • Installation von thermografischen Portalen zum Feststellen und Anhalten von Fahrzeugen mit außergewöhnlichen Temperaturen vor deren Einfahrt.
    • Erfassung von Gefahrensituationen im Tunnel durch ein Videoüberwachungssystem (mit 120 auf festen Haltern montierten Kameras, die am Gewölbe in 2 Reihen platziert sind und beide Fahrspuren überwachen, 36 an den Halteplätzen im Tunnel montierte feste Kameras, weitere 37 in den Schutzräumen angeordnete Kameras), zum automatischen Erfassen von Unfällen und Stau, der Überschreitung der Geschwindigkeitsbegrenzungen und des Mindestabstands zwischen den Fahrzeugen, Temperaturmess-, Brandmelde- und Rauchmeldesysteme.
  • System zur Lüftung, zur Abführung der Abgase und zum Rauchabzug im Brandfall, mit einer Leistung von 156 m³/s in einem Bereich von 600 m
    • Anordnung von ferngesteuerten Klappen an den Ansaugöffnungen (carneaux) alle 100 m seitlich der Fahrspur Frankreich-Italien.
    • Installation von 76 Ventilatoren, die paarweise in Längsrichtung angeordnet sind und den in Längsrichtung verlaufenden Luftstrom auslösen.
    • Kontinuierlicher Verlauf der Lüftungs- und Abluftleitungen zwischen Italien und Frankreich.
    • gleichzeitiges und rechtzeitiges Einschalten der beiden Lüftungsaggregate an den Einfahrten möglich.
    • Installation von 4 zusätzlichen Ventilatoren entlang dem Saugkanal für die bessere Abfuhr der Abluft.
  • Geräte und Strukturen für die Sicherheit und die Evakuierung von Personen, darunter :
    • 37 Sicherheitsräume, einer alle 300 m, seitlich der Fahrspur Italien-Frankreich, mit einer Oberfläche von je 37,5 m², vor denen sich eine SAS mit 5 m² Größe befindet, mit Überdruck belüftet und mit Frischluftleitungen verbunden, die als Fluchtwege mit Zugängen dienen, die durch spezifische Schilder und Ausrüstungen gekennzeichnet sind.
    • Bereitschaft eines Fahrzeugs mit Elektromotor auf italienischer und auf französischer Seite, das sich in den als Fluchtwege verwendeten Lüftungskanälen bewegen und zum Evakuieren verletzter oder behinderter Personen dient.
    • Taktile Leuchtzeichen, die zum Zugang zu den Sicherheitsräumen führen (Ariadnefaden) entlang der Seitenwände, wo sich die Sicherheitsräume befinden.
    • 3 neue Garagen (ausgerüstete Nothalte- bzw. Pannenbuchten), die in der Nähe der italienischen Einfahrt und alle 600 m entlang des gesamten Tunnels vorhanden sind, sodass insgesamt 36 Nothalte- bzw. Pannenbuchten abwechselnd auf den beiden Tunnelseiten bestehen.
    • Sicherheitsnischen alle 100 m (insgesamt 116), abwechselnd auf beiden Tunnelseiten angeordnet und jeweils ausgestattet mit: ein mit den Leit- und Kontrollstellen verbundenes Notruftelefon, zwei Feuerlöscher mit Benützungssensor, Steckdosen (220/380 V), eine Glastür mit Öffnungssensor, spezifische Beschilderung.
    • Brandschutznischen alle 150 m (insgesamt 80) seitlich der Fahrspur Frankreich-Italien, ausgestattet mit doppelter Brandschutzklappe nach den Normen beider Länder, zuzüglich weiterer solcher Installationen in den SAS der Schutzräume, neues Feuerlöschsystem, das von 4 Behältern zu je 120 m³ gespeist wird (durch die Fassung von Quellen innerhalb des Tunnels versorgt), wovon 2 auf den Einfahrtsplätzen und 2 im Tunnel (am Platz Nr. 15 und 29) angeordnet sind.
  • Ausrüstungen für die technisch-funktionelle Ausstattung, darunter :
    • Neue vertikale Beschilderung mit Leuchtkennzeichen für die bessere Sichtbarkeit;
    • Neue horizontale Kennzeichen mit erhöhter Rückstrahlung und Rauheit mit Toneffekten.
    • Veränderliche Anzeigetafeln alle 600 m an den Nothalte- und Pannenbuchten mit Anzeigemöglichkeit von Piktogrammen und Textmeldungen mit modernster Technologie.
    • Sperrschranken zum Anhalten der Fahrzeuge in Notsituationen, alle 600 m an den Nothalte- und Pannenbuchten angeordnet und mit roten Ampeln und veränderlichen Anzeigetafeln mit Textmeldungen ausgestattet; diese Sperrschranken sind ein sehr wirksames Mittel zur Risikominderung, da sie die Unterbrechung des Fahrzeugverkehrs in Richtung Unfallstelle alle 600 m ermöglichen.
    • Erneuerung der Beleuchtungsanlage.
    • Erneuerung der Funkübertragungsanlagen. Der Mont-Blanc-Tunnel ist mit zwei abstrahlenden Kabeln, eines im Gewölbe und das andere geschützt im Kanal 4 unter der Straße, ausgestattet, mit denen die wiederholte Übertragung von Durchsagen des Betreibers und die Funkfrequenzen der öffentlichen Dienste möglich sind. Über diese abstrahlenden Kabel stehen den Benutzern außerdem 12 FM-Tonfunkfrequenzen (6 französische und 6 italienische) zur Verfügung. Das Personal der Leitstelle kann registrierte Meldungen oder Echtzeit-Durchsagen durchgeben, um den Benutzern Informationen über die Art des Ereignisses und über die Verhaltensweise zu erteilen.
    • Ersatz der seitlichen Verkleidungen der Seitenwände durch Platten in heller Farbe.
    • Erneuerung der elektrischen Versorgungsanlage mit 9 Unterstationen zur Niederspannungsversorgung und 2 Schaltanlagen (EDF auf der französischen und ENEL auf der italienischen Seite), wovon jede in der Lage ist, den gesamten Tunnel zu versorgen.
    • Installation von zusätzlichen Stromerzeugern am Platz auf der italienischen Seite.

Die neuen Sicherheitseigenschaften: organisatorische Maßnahmen und Einsatzmittel

Unter den organisatorischen Maßnahmen sind zu nennen:

  • Vorbeugende Maßnahmen zur Information und Sensibilisierung der Tunnelbenutzer hinsichtlich der vorhandenen Geschwindigkeitsbegrenzungen und des Verhaltens im Notfall unter Verwendung der neuesten Kommunikationsmitteln, darunter Funkübertragung von Meldungen auf spezifischem Kanal.
  • Eine Hauptleitstelle für den gesamten Tunnel (PCC 1,“aktive” Leitstelle genannt, die für den einheitlichen Betrieb der Anlagen und die Einsatzmannschaften nach festgelegten Abläufen zuständig ist) und eine gleich ausgestattete Nebenleitstelle (PCC 2, genannt „Verkehrsleitstelle“, für die einheitliche Regelung des Schwerverkehrs über die beiden Regelbereiche Aosta und Passy-Le Fayet und für die Kommunikation und Information an Partner und Benutzer) mit Umschaltmöglichkeit im Notfall.
  • Verkehrsregelung, von einer Arbeitsgruppe ausgearbeitet, die bei der italienisch-französischen Tagung vom 29. Januar 2001 gegründet und von der Regierungs-Kommission genehmigt wurde, zur Bestimmung der Verkehrsordnung.
  • Erste-Hilfe-Plan (Interner Notfall- und Sicherheitsplan - PIIS) und Mittel zum Notfall-Management, die aufgrund einer spezifischen Gefährdungsanalyse ausgearbeitet wurden; darunter die Bereitstellung von drei Sofortbereitschaftsteams (eines pro Einfahrt und das dritte in einer eigens errichteten, neuen Struktur in der Mitte des Tunnels), die für den Einsatz in abgegrenzten Räumen spezifisch geschult und mit Brandlöschmitteln ausgestattet sind, die eigens für den Mont-Blanc-Tunnel geplant und hergestellt wurden.
  • Internationaler Notfallplan (PSB) als Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen der Präfektur von Haute Savoie und des Zivilschutzes Aostatal, für Fälle, die weitere, noch höher spezialisierte Einsätze erfordern als jene, die schon vor Ort bereitstehen.
  • Zwei Bereiche für die Regelung des Schwerverkehrs im Tunnel nach den Bestimmungen der Regierungs-Kommission (CIG); vor der Einfahrt in den Tunnel müssen die schweren LKW in den so genannten Regel- und Kontrollbereichen in Passy-Le Fayet (Frankreich) und Aosta (Italien) akkreditiert werden. Nach Prüfung der Fahrzeuggröße und der europäischen Emissionsklasse (Transit verbot für Fahrzeuge der Klasse Euro 0 und Euro 1 ist verboten, d.h. mitZulassunge, vor dem 1. Oktober 1996 ) wird eine Akkreditierungs marke erteilt.